CHIEMSEE

Juli 2017
Chiemsee - ein bisschen Meer in Bayern

Berge oder See? Wir sitzen in München auf dem Balkon, und sind uns einig, dass wir nach den vergangenen Wochen voller Arbeit ein bisschen Entspannung brauchen. So entscheiden wir, am nächsten Tag die Computer aus zu lassen und einen Ausflug zu machen. Weil wir den Wecker nicht allzu früh klingeln lassen und auch nicht so sehr weit fahren wollen, gewinnt der See, und zwar von den über 30 oberbayerischen Seen, die von der Größe her den Namen verdienen, der größte, der Chiemsee. Und das ist eine gute Entscheidung, denn der Tag am Wasser wird Entspannung pur, ein kleiner Urlaub mitten im Arbeitsgetriebe.

Wir fahren nach Prien. Über die Autobahn dauert das bei guten Verkehrsverhältnissen eine knappe Stunde, etwa genauso lange wie vom Münchner Hauptbahnhof aus mit dem Zug.

Der alte Schaufelraddampfer auf dem Chiemsee

Wir fangen den Urlaubstag ganz entspannt an, setzen uns in Prien angekommen im Hafen ans Wasser, schauen den Enten und Möwen zu, genießen den Anblick der bunt bepflanzten Beete und Tröge und vor allem der vielen Blau-, Türkis- und Grüntöne, von Wasser, Himmel und Bergpanorama. Dazu die weißen Schönwetterwölkchen – es ist ein Tag wie aus dem Bilderbuch.

Mehrmals plätschert der Schaufelraddampfer „Ludwig Fessler“ an uns vorbei. 1927 begann der Salondampfer auf dem Chiemsee seinen Dienst. Damals fanden die Fahrgäste das Schiff und seinen Salon sehr elegant. Auf uns wirkt es nostalgisch, wie es da so vor sich hinschaufelt. Seit Anfang der 1970er Jahre schippen die Maschinisten übrigens keine Kohle mehr. Jetzt tuckert ein Dieselmotor den Schaufelraddampfer über den Chiemsee.

Als wir uns aufmachen, die Fraueninsel zu besuchen, ist „Ludwig Fessler“ irgendwo auf dem See unterwegs und wir nehmen das nächstbeste Linienschiff. Wann und von wo aus Schiffe auf dem Chiemsee wohin fahren, findet ihr hier.

Eine halbe Stunde dauert die Fahrt. Kurz hält das Schiff am Anlegeplatz der großen Herreninsel mit dem Königsschloss, das sich Ludwig II. von Bayern Ende des 19. Jahrhunderts nach dem Vorbild des Schlosses in Versailles bei Paris bauen ließ. Dessen Hausherr, der französische König Ludwig XIV. von Frankreich verehrte der bayerische Ludwig II. nämlich sehr. Die Vollendung des Schlosses auf der Herreninsel, die auch Herrenchiemsee genannt wird, erlebte der Monarch allerdings nicht.

Das Kloster Frauenchiemsee im Chiemsee

Das Kloster Frauenchiemsee vom Wasser aus

Rindviecher auf der Krautinsel

Den Namen der winzigen Insel zwischen Herren- und Fraueninsel hören wir von einem mitfahrenden Einheimischen: Krautinsel. Im Mittelalter sollen Nonnen von der Fraueninsel dort Gemüse und Kräuter angebaut haben. In der Steinzeit war die Insel sogar bewohnt, wie Ausgrabungen gezeigt haben. Jetzt grast manchmal Vieh der Bauern vom Chiemsee dort. Im Frühsommer wird es per Schiff hingefahren, im Herbst wieder abgeholt.

Linienschiffe legen an der Insel nicht an. Nur wer mit einem kleinen Boot unterwegs ist, kann dort Rast machen. Wo Menschen kaum hinkommen, freuen sich die Vögel, die dort Ruheplätze finden. Vor allem am Abend soll das Schauspiel der Vogelschwärme auf der Krautinsel, das man von der Fraueninsel aus sehen kann, beeindruckend sein.

Zwar entlässt das Linienboot außer uns noch zig andere Touristen an der Anlegestelle unterhalb des Benediktinerinnen-Klosters Frauenwörth, doch seltsamerweise verlaufen sich die vielen Menschen zwischen den 50 Häusern der Insel und den wunderschönen, vom milden Klima mitten im Chiemsee begünstigten Gärten. Und zwar so gründlich, dass sich offenbar nicht mal die Entenküken und ihre Eltern beunruhigt fühlen. Direkt am Fußweg kuscheln sich die jungen Entchen zusammen. Wir müssen aufpassen, wo wir hintreten, damit wir sie nicht erwischen.

Man kann stundenlang über die kleine Fraueninsel schlendern, denn zu sehen gibt es einiges. Die Wege sind übrigens sehr gut für Menschen mit Kinderwagen, Rollstühlen und sonstigen Fortbewegungshilfen geeignet. Nur Autos gibt es auf der Insel nicht.

Friedhof auf der Fraueninsel im Chiemsee

Der Friedhof der Fraueninsel

Die Fraueninsel lockt die Künstler

Friedhof auf der Fraueninsel im Chiemsee

Wir spazieren zunächst zum Münster aus dem 11. Jahrhundert mit dem interessanten frei stehenden Glockenturm. Der winzige Friedhof an der Klosterkirche zeigt, welche Anziehungskraft die Fraueninsel, analog zu Herrenchiemsee auch Frauenchiemsee genannt, auf Künstler hat: Viele Schriftsteller, Dichter, Musiker und Bildhauer liegen dort begraben. Kein Wunder: In den 1820er Jahren entdeckten Maler die romantische Landschaft und das spezielle Licht auf der Fraueninsel mitten im Chiemsee, Schriftsteller kamen dazu und eine der ältesten Künstlerkolonien Europas entstand.

Zwei der Kreativen heirateten sogar die Wirtstöchter aus der „Linde“, wo der Künstlerstammtisch regelmäßig zusammen kam. Chiemseemaler Maximilian Haushofer und der Schriftsteller Wilhelm Jensen sind auf dem Friedhof der Fraueninsel begraben. Die Künstler waren übrigens nicht Aussteiger, die reif für die Insel waren, sondern durchaus Trendsetter. Beispielsweise Haushofer, der Pionier unter ihnen, malte nämlich nicht wie damals in ihren Kreisen üblich im Atelier, sondern erstmals unter freiem Himmel.

Wir halten die malerischen Motive nicht mit Pinsel und Farbe, sondern mit den Fotoapparaten fest. Die Spuren der Kunsttradition der Fraueninsel finden sich nicht nur in der Kirche und auf dem Friedhof. Kunsthandwerk bieten heute viele kleine Läden auf der Insel. Wer will, kann viel Geld für außergewöhnliche Kleidung, Gartendeko und Töpferwaren ausgeben. Die Inseltöpferfamilie ist stolz auf ihre 400jährige Tradition.

Gartenschmuck auf der Fraueninsel im ChiemseeGartenschmuck auf der Fraueninsel im ChiemseeGartenschmuck auf der Fraueninsel im Chiemsee

Kunsthandwerk auf der Fraueninsel

Wir schauen nur und suchen uns dann erstmal etwas zum Essen.

An einer kleinen Anlegestelle trocknen Fischreusen. Und gleich daneben verspricht ein Schild an einer romantischen Holzhütte, was wir suchen: Frische Chiemseefische. Weil heute viel los ist, hat der Fischer aber schon seine Fischsemmeln ausverkauft. Wir nehmen uns deshalb für zu Hause einen ganzen Fisch mit. Dann schlendern wir weiter und finden eine verlockende Wirtschaft mit Terrasse. Dort essen wir Wildkräutersalat mit geräuchter Renke. Das ist sehr lecker.

Die Renke ist nicht nur der „Brotfisch“ der Fischer an den oberbayerischen Seen, sondern sie ist als gegrillter Steckerlfisch, Räucherfisch oder eben in der Semmel eine regionale Spezialität am Chiemsee. „Brotfisch“ wird sie deshalb genannt, weil sie etwa die Hälfte des Fangs der 16 Fischerfamilien rund um den Chiemsee ausmacht. Manche von ihnen haben übrigens wie die Töpferei schon eine 400jährige Tradition.

 

Fischreuse am Chiemsee

Fischernetz

Überall kann man auf der Fraueninsel im Chiemsee frisch gefangenen Fisch kaufen

Überall kann man frisch gefangenen Fisch kaufen

Rundum entspannt in den Sonnenuntergang

Kräuter gehören ebenfalls seit Jahrhunderten zur Tradition der Fraueninsel. Und zwar nicht nur, weil die Nonnen von dort einst die Krautinsel bepflanzt haben. Auch jetzt gehören zum Kloster Frauenwörth interessante Obst-, Gemüse- und Kräutergärten. Einer ist nach den Grundsätzen der mittelalterlichen, gelehrten Klosterfrau Hildegard von Bingen angelegt. Die Benediktinerin ist bekannt für ihre naturkundlichen und heilkundlichen Schriften. Aus den Kräutern aus ihrem Garten machen die Benediktinerinnen übrigens einen Likör, den es neben selbstgemachtem Marzipan und hausgebackenen Lebkuchen im Klosterladen gibt.

Beeindruckt sind wir vom Lindenhain auf dem höchsten Punkt der Fraueninsel. Zwei Bäume sollen über 1000 Jahre alt sein, die Tassilolinde und die gebrechliche Marienlinde. Die sieben Linden des Hains sollen als Orientierungsbäume für die Schiffer gedient haben. Eine wurde erst vor ein paar Jahren zur Geburt eines Kindes namens Peter gepflanzt. Auf einer Tafel steht die Geschichte: Seit 1574 lebt Peters Familie auf der Insel. Sie brachte Musiker, Künstler, Handwerker hervor, die alle auf der Fraueninsel blieben und wirkten. Die Insulaner im Chiemsee scheinen ein sehr bodenständiges Volk zu sein.

Heute, an diesem entspannten Bilderbuch-Sommertag können wir uns gut vorstellen, ein paar Tage hier in der Abgeschiedenheit mitten im See zu leben, aber Jahrzehnte, Sommer wie Winter, bei Badewetter und wenn die Welt um die Insel in eisigem Grau in Grau versinkt? Wer sich für ein solches Leben entscheidet, muss viel Verbundenheit mit der Tradition der Vorfahren mitbringen oder auf der Insel die Erfüllung eines Lebenszieles finden, wie die Künstler aus der „Linde“.

Am Abend dauert der Rückweg mit dem Linienschiff nach Prien eine ganze Stunde. Wir haben viel Zeit, Möwen zu beobachten und uns noch das i-Tüpfelchen an Entschleunigung zu gönnen – falls uns das noch gefehlt haben sollte. Auf dem Rückweg vom Chiemsee Richtung München fahren wir jedenfalls rundum entspannt in den Sonnenuntergang.

Die Ente wartet am Anlegesteg auf der Fraueninsel auf Besucher

Ente wartet auf Besucher

DIe Entenküken auf der Fraueninsel im CHiemsee haben keine ANgst vor den Touristen, sie sitzen seelnruhig am Wegesrand und beobachten die vorbeigehenden Menschen

Die Entenküken haben keine Angst vor den Touristen

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